In:
Medienwerkstatt Wien (Hrsg.):
Sonderheft 1
20 Jahre Medienwerkstatt
Wien 1998

Bert Rebhandl: Chaostheorie

Es scheint, als würde die „Entzauberung der Welt“, von der Max Weber sprach, nach dem Höhepunkt der Aufklärung eine Gegenreaktion provozieren. Das Interesse an unerklärlichen Phänomenen nimmt zu, was sich schon allein daran ermessen lässt, dass die Fernsehanstalten, untrügliche Trendbeobachter, vieles in diese Richtung unternehmen. Paranormale Phänomene: das verspricht eine Parallelerzählung zu den sichtbaren und einsehbaren Fakten. Die Erzählung manifestiert sich entweder als anscheinend unerklärlicher Sachverhalt oder als sinnlose Struktur, in die der erfahrene Hermeneut erst den Inhalt bringt.

Der Film Paranormal von Lampalzer/Oppermann funktioniert ebenfalls als Parallelerzählung: Einerseits die Recherche bei seriösen Fachleuten des Unwirklichen, andererseits der Selbstversuch, unter Zuhilfenahme und Anwendung mehr oder minder bedeutsamer Theorien der Grenzwissenschaften. Ein bedeutsamer Satz fällt zu Beginn, als ein Mann, der das leere Rauschen des von der Antenne getrennten TV-Geräts abfilmt und dann nach „Gesichtern“ absucht, sagt: „Die heutige Technik macht es möglich.“ Mit Hilfe der audiovisuellen Apparaturen suchen die Tonbandstimmenforscher (und ihre Kollegen mit dem Videogerät) nach einem „Anschluss an das kosmische Informationsfeld“. Auf ihrer Suche nach Sinneinheiten im Chaos verwenden sie interessanterweise Techniken, die in der derzeitigen populären Kultur zentral sind: Zerlegung, Sample, Scratchen. Paranormal teilt zu Beginn die Perspektive dieser Hobbyforscher. Die dazwischen montierten Bilder (etwa eine Art Iris-Kaleidoskop) verhalten sich dazu weder rein illustrativ, noch geben sie eine Wertung ab. Sie erinnern eher an die Methode von Alexander Kluge in seinen Fernsehsendungen, zwischen die Sprechbeiträge immer wieder diagramm-artige Inserts zu stellen, die beinahe alchimistisch das visuelle Andere des rationalen Diskurses bedeuten.

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Lampalzer/Oppermann nehmen zur Kenntnis, dass bei der Konfrontation mit paranormalen Phänomenen das beobachtende Subjekt im Sinne einer Unschärfenrelation entscheidend ist, und versuchen in einem zweiten Erzählstrang, selbst entsprechende Erfahrungen zu machen. Sie bauen ein Psychofon, sie versuchen sich nach den Methoden von Ted Serios (kein erfundener Name!) in der „Ex-Projektion“ von Gedankeninhalten auf Polaroid-Fotos. Dazu ist im Film erstmals Jazz zu hören, statt der „abstrakten“ Para-Musik, die man auch aus dem Ambient- und Trance-Bereich der gegenwärtigen Pop-Kultur kennt. Unweigerlich kommt auf dieser zweiten Erzählebene ein Element Ironie ins Spiel (Staudenmaiers „Erregung der Netzhaut“ durch Exaltation in einem Kleiderkasten; der Apfelstrudel neben den Versuchsanordnungen), aber zugleich nähern sich die Bilder an einer Stelle, die mit einer durchlöcherten Metallfolie statt des Kameraobjektivs gedreht wurde, deutlich auratischen Gehalten: Eine rote Standseilbahn gleitet einen Berg hinauf, dazu Trance-Musik.

Der ironische Tonfall bei manchen Selbstversuchen (verstärkt durch die verschiedenen filmischen Mittel, von der Einzelbildfotografie bis zum 16mm-Film) färbt aber auf die Recherche nicht ab. Zwei Experten für Grenzwissenschaften, ein Physiker und ein Theologe, werden extensiv befragt. Der Pater erweist sich selbst als hochinteressanter Fall: Ein Glaubenswissenschaftler, der rund um das Irrationale ein hochkomplexes Rationalitätsgebilde baut – „lieber 10% weniger glauben als 1% zuviel“. Zwei Filmkader von einem Experiment in Afrika, bei dem ein Stammeszauberer eine Levitation bewerkstelligen konnte, verdeutlichen den ambivalenten Beweischarakter der Fotografie in diesem Feld. Mit dem Physiker, der ein Medium kennt, das wie der weiland berühmte Uri Geller imstande ist, Löffel zu verbiegen und andere telekinetische Fähigkeiten hat, gelangt der Film an die Grenzen: „Wissenschaftlich hat nichts rausgeschaut.“ Aber das Material liegt vor, und sein Besitzer wartet darauf, dass es relevant wird. Lampalzer/Oppermann hängen Fotopapier in die Bäume. Der Film schließt mit einem vieldeutigen Zeichen: Der Baum als buddhistische Gebetsmühle, das unbelichtete Material als Firlefanz.