In:
Medienwerkstatt Wien (Hrsg.):
Sonderheft 1
20 Jahre Medienwerkstatt
Wien 1998

Markus Wailand: Paranormal

„Der Funkkontakt geht schon rascher“ melden die Zottelgänger aus dem Jenseits über eine Trägerbrücke aus Energie. Der Anschluß an das kosmische Informationsnetz ist vollzogen, das Raum-Zeit-Kontinuum außer Kraft gesetzt – Tonbandgeräte und Videotechnik, Pentagramm-Antenne und Psychophonmachen es möglich.

Nein, es geht nicht um ein Science-Fiction-Szenario, auch wenn sich diese Zeilen so anhören, als würde Captain James D. Kirk aus seinem Computerlogbuch vortragen. Die Urheber dieser Spezial-Metaphorik sind unspektakulär-durchschnittliche Menschen aus dem hier und heute, die auch über einen Kegelklub, eine Bridgerunde oder einen Kirchenchor zueinander hätten finden können. Nur daß es eben anders gekommen ist: Sie sind z.B. „Tonbandstimmenforscher“. Als solche versammeln sie sich immer wieder zu „Einspielabenden“, bei denen versucht wird, mit Bandgeräten und selbstkonstruierten Kommunikationsanlagen Kontakt zu einem Bereich herzustellen, an dessen Existenz man glauben kann (oder nicht): Alle Aufmerksamkeit der Tonbandstimmenforscher gilt Freunden, Verwandten und Bekannten im Jenseits.

Alle Hinwendung von Gerda Lampalzer und Manfred Oppermann wiederum gilt jenen Formalismen, die die Tonbandstimmenforscher und ähnlich orientierte Kollegen aus dem Reich des Übersinnlichen bei ihren Unternehmungen entwickeln. Sie waren der Ausgangspunkt für die rezenten filmischen Experimente des Duos, die nun in Form ihrer Videoproduktion „Paranormal“ gebündelt vorliegen. aranormale Phänomene hatten sie schon länger fasziniert, allerdings nicht aus einer identifikatorischen Perspektive – es war diese ebenso eigenständige wie unnachahmliche Ästhetik, die mit den Ambitionen, Naturgesetze zu widerlegen oder zeitweilig außer Kraft zu setzen, einhergehen. Über Levitationen wird berichtet, also davon, daß Menschen plötzlich zu entschweben beginnen, oder über Telekinese– Gegenstände werden durch bloße Konzentration bewegt oder verformt –, wie sie Uri „Gabelbieger“ Geller vor Jahrzehnten bereits einmal kurzfristig populär gemacht hatte. Schon die Gespräche mit den hausbackenen Kollegen von Dr. Seltsam und ihren Chronisten, die den dokumentarischen Teil von „Paranormal“ bestreiten, geben eine Vorstellung von der „Ästhetik der Ereignisse“ (Lampalzer/Oppermann), die alle in ihrem Film behandelten Subgenres des Paranormalismus aufweisen. Man muß die Einführungen in die Hobbyraum-Wissenschaftsbegriffe der interviewten „Experten“ schließlich nicht glauben, um die virtuosen Gedankenkonstruktionen zu bewundern.

Weiterlesen......

Man muß auch nicht Sigmar Polke heißen, um sich von selbstersonnenen, fremden Wesen befehligen zu lassen: So wie für den Tafelbildner die Parole plötzlich lautete „rechtes oberes Eck schwarz malen“, sahen sich Lampalzer/Oppermann mit neuen Aufgaben konfrontiert: „Psychophon bauen!“, „Lochkameraexperimente durchführen!“, „Mit der Polaroidkamera in einen Schrank einschließen und mittels Gedankenübertragung Bilder aufs Fotopapier transferieren!“. Solcherart ferngesteuert von den zahlreich vorhandenen Versuchsanordnungen der Paranormal-Alchemisten arbeiten sich Lampalzer/Oppermann in einem zweiten Strang des Videos durch diese Vorgaben – der Selbstversuch als Parallelerzählung. Diese wird als solche auch dadurch ausgewiesen, daß die zurückhaltend-deskriptive Bildsprache des Doku-Teils hier von experimentellen Vorgaben abgelöst wird, die sich aus den Versuchen selbst ergeben.

Paranormale Phänomene haben, das ist bald klar geworden, nichts mit Science Fiction zu tun. Ufologie ist eine interplanetarische Angelegenheit, Tonbandstimmenforschung eine Wohnzimmerwissenschaft; Aliens sind immer das unbekannte Andere,hier aber schweben welche von uns; und während in Sci-Fi-Szenarios selten etwas ohne drohender Apokalypse oder dem Streben nach Weltherrschaft abgeht, bleibt die Gabelverbiegung eine Geheimwissenschaft für den Abend mit Freunden.

Und dennoch: Auch Science-Fiction-Settings sind stets ein bestimmter Rahmen, innerhalb dessen die jeweiligen Ereignisse stattfinden können. Die spezifischen Parameter dieser Szenarios setzen naturgemäß Abweichungen vom Bekannten, „besondere“ Eigenschaften, voraus: Gerne werden Zeit und Raum, Energie und Materie als überwunden abgehakt. Voraussetzung zum einsteigen, mitfahren und mit dabeisein in dieser Achterbahn fiktiver Daseinsorganisation ist nicht, diese veränderten Paradigmen zu glauben, sondern sie zu akzeptieren. Wer sich nicht darauf einlassen möchte, daß Scotties einen Kollegen von der Enterprise durch den Raum beamen kann, wird an StarTrek keine Freude finden.

Bei der Beschäftigung mit paranormalen Phänomenen verhält es sich ähnlich: Zu sagen, daß man nicht daran glaubt, mag möglicherweise in den meisten Fällen der Wahrheit entsprechen, aber es führt zu nichts weiter als dem schnellen Ende einer wundersamen Bekanntschaft. Bleiben noch zwei weitere Möglichkeiten: Man kann von einer distanzierten Beobachterperspektive die Schrulligkeit dieser gar nicht so alltäglichen Geschichten und ihrer Protagonisten dokumentieren – was schnell auf billigen Voyeurismus hinausläuft. Oder man tut es wieLampalzer/Oppermann, die mit ihrer Videoproduktion „Paranormal“ eine solche hierarchische Anordnung dadurch unterlaufen haben, indem sie selbst Tonbandstimmenforscher und Paranormalisten zu werden versuchten.

If you don’t want to beat them, try to join them: Lampalzer/Oppermann haben die gängigen Erzählungen zur Stimmenmagie und Bilderzeugung, von Levitationen und Psychokinektik gesammelt und selbst durchzuspielen versucht. Erfolge in dem Sinn, daß auch sie Zeugen einschlägiger Wahrnehmungen geworden wären, haben sich keine eingestellt – all quiet on the Jenseits-Front. Doch vor allem ihre Gespräche mit jenen, die bereits seit vielen Jahren in diesen Metiers tätig sind, haben stets wieder gezeigt, daß diese zwar das konkrete Ergebnis suchen und fordern, daß es aber noch ein Moment gibt, das darüber hinausweist: Der privatisierte Forschungsdrang. Es gibt auch vom Wohnzimmer aus noch so viel zu entdecken, packen wir es an. Mit wissenschaftlicher Forschung sollte man diese Ambitionen nicht verwechseln, auch gar nicht in Verbindung bringen. So sind sie im Privaten auch gut aufgehoben: Wo andere kleine Universen aus Spielzeugeisenbahnen zusammenfügen, schaffen sich die Paranormalisten eine Parallelwelt, die sich zwar konventionell organisiert, deren Grenzen sie im Rahmen ihrer (Kommunikations)-alchemie aber beständig zu erweitern versuchen. Jede „Wesenheit“ auf dem heimischen Fernsehschirm bringt ein Stück mehr Jenseits in Leben. Lampalzer/Oppermann haben sich dieser Herstellungsmethoden angenommen, deren Ästhetiken rekonstruiert, verstärkt und damit die Fiktion eines paranormalen Universums ins Bild gesetzt: Die Zottelgänger können kommen.